Über die weibliche Intimgesundheit reden

Vulva, Klitoris, Perineum, Scheidentrockenheit oder Harninkontinenz ... All diese Themen sind wenig bekannt oder sogar tabu, obwohl sie für die weibliche Gesundheit von grösster Bedeutung sind. Wir sprechen Klartext mit PD Dr. med. Dorothea Wunder, Leitende Ärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am HFR, die dafür plädiert, mehr über die weibliche Intimgesundheit zu reden, denn: „Zu oft leiden Frauen lange und im Stillen.“

Mangelndes Wissen um die weiblichen Geschlechtsorgane führt dazu, dass diese mit einem Tabu belegt werden und es sowohl dem Pflegepersonal als auch den Patientinnen schwerfällt, über allfällige Leiden zu reden. Und das, obwohl es Lösungen gäbe, um Schmerzen und Symptome zu lindern, die manchmal sogar so weit führen, dass Frauen nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. „Es gibt Frauen, die an Harninkontinenz leiden und deswegen zu Hause bleiben, nicht mehr in die Ferien fahren, weniger trinken und so ihre geistige und körperliche Gesundheit aufs Spiel setzen“, erklärt Dr. med. Dorothea Wunder. Sie plädiert deshalb dazu, mehr über die weibliche Intimgesundheit zu reden, denn: „Zu oft leiden Frauen lange und im Stillen.“

PERINEUM

Definition: Das Perineum ist eine Muskelgruppe, die den Beckenboden abdichtet, und verfügt mit der Harnröhre, der Vagina und dem Anus über drei Öffnungen. Es erstreckt sich vom Schambein bis zum Steissbein.

Funktion: Wie eine Hängematte stützt es die Blase, die Gebärmutter und den Darm. Es sorgt dafür, dass diese Organe an ihrem Platz bleiben. Der Beckenboden spielt auch eine wesentliche Rolle bei der Harnund Stuhlkontinenz und dient dem sexuellen Vergnügen.

Beeinträchtigungen: Verliert das Perineum seine Spannkraft, stützt es die Organe nicht mehr ausreichend und hält den Urin nicht mehr so gut zurück. Inkontinenz betrifft etwa 15 Prozent aller Frauen.

Ursachen: Es wird insbesondere zwischen Belastungs- und Dranginkontinenz unterschieden. Erfolgt ein Urinverlust beim Husten oder Springen, spricht man von einer Belastungsinkontinenz. Diese ist oft auf eine vaginale Geburt zurückzuführen – aber auch die Schwangerschaft an sich beeinträchtigt die Spannkraft des Perineums.

„Auch andere Faktoren wie Fettleibigkeit oder das Ausüben von Sportarten, die mit Stössen verbunden sind, können die Widerstandsfähigkeit des Perineums in Mitleidenschaft ziehen. Weitere Auslöser sind chronische Infektionen oder allgemein Probleme mit dem Bindegewebe – vor allem bei Frauen, die leicht Krampfadern entwickeln.“ Eine Dranginkontinenz hingegen ist meist auf ein neurologisches Problem zurückzuführen. Das Gehirn sendet zu früh
die Botschaft, dass es Zeit ist, die Blase zu entleeren.

Behandlungsansätze: Präventiv bietet sich zunächst eine Beckenbodenrehabilitation (die sogenannte Rückbildung) an, die übrigens auch nach einem Kaiserschnitt empfohlen wird. „Bei den konservativen Behandlungsformen hat sich die Physiotherapie des Beckenbodens bewährt, wenn nötig mit Elektrostimulation“, so die Gynäkologin. „Um die Menopause herum helfen Cremes oder es kann auf eine lokale intravaginale Hormonersatztherapie zurückgegriffen werden. Der Östrogenmangel wirkt sich auf die Schleimhäute aus, die das Gewebe nähren und somit die Spannkraft der Organe beeinflussen“. Je nach Typ der Inkontinenz können auch operative Eingriffe in Betracht gezogen werden.

VAGINA

Definition: Die Vagina ist nur ein Teil der weiblichen Geschlechtsorgane. Sie ist ein schlauchförmiges inneres Organ, das sich zwischen Vulva und Gebärmutterhals erstreckt. Die Vagina ist ca. 8 cm lang. Sie wird im Laufe des Lebens stark von den hormonellen Schwankungen im weiblichen Körper beeinflusst.

Funktion: Die Vagina hat vier Hauptfunktionen: Sie ermöglicht den Abfluss von Blut und anderen Sekreten während der Menstruation, dient der Aufnahme des Penis beim Geschlechtsverkehr, hält das Sperma zurück, damit die Spermien in die Gebärmutter gelangen können und dient dem Baby als Geburtskanal.

Beeinträchtigungen: Scheidentrockenheit ist die Hauptursache für Probleme, welche die Vagina betreffen. Diese kann zu Mikrorissen führen, die Bakterien und anderen Keimen Tür und Tor öffnen, die wiederum Juckreiz und Schmerzen verursachen können. Auch Scheideninfektionen, ausgelöst durch Scheidentrockenheit oder sexuell übertragbare Krankheiten, treten häufig auf.

Ursachen: Nicht selten ist die Scheidentrockenheit einer übertriebenen Hygiene geschuldet. Ganz im Gegensatz zu dem, was Influencerinnen gerne predigen, „sollte man auf keinen Fall auf vaginale Duschen zurückgreifen“, warnt Dr. med. Dorothea Wunder. Dadurch werden die guten Bakterien entfernt. Die Vagina selbst verfügt eigentlich über eine Flora, die sie vor Keimen schützt. Auch die Menopause und die damit einhergehenden hormonellen Schwankungen begünstigen Scheidentrockenheit.

Behandlungsansätze: Abhilfe schaffen Cremes, die Laktobazillen enthalten, oder eine lokale Hormonersatztherapie. „Behandeln statt leiden“, empfiehlt Dr. med. Dorothea Wunder.

VULVA

Definition: Als Vulva werden die äusseren Geschlechtsorgane bezeichnet. Sie besteht aus dem Schambein, den grossen und kleinen Schamlippen sowie der Klitoris.

Form: Die Form der Vulva ist sehr individuell. 2018 wurde am Kantonsspital Luzern eine Studie mit 657 Frauen im Alter von 15 bis 84 Jahren durchgeführt. Resultat: Vielfalt ist die Regel! Die Grösse der äusseren Schamlippen variiert zwischen 12 und 180 Millimetern, die Vaginalöffnung zwischen 6 und 75 Millimetern.

Beeinträchtigungen: Körperlich stimmt selten etwas nicht. Laut einer Studie aus den Niederlanden findet jedoch eine von sieben Frauen ihre Vulva abnormal und viele von ihnen ziehen eine Operation in Betracht. „Diese Hysterie um Labioplastiken geht auf die 2010er Jahre zurück, als die Intimrasur in Mode kam“, erklärt Dr. med. Dorothea Wunder.

Das Geschlecht der Frauen wurde damit sichtbarer. Das pornografische Idealbild geht von einer glatten und rosigen Vulva aus, was komplett an der Realität vorbeizielt. Ausser in begründeten Fällen (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Reibung an der Kleidung) „schadet eine Labioplastik meist mehr als sie nützt“, gibt die Expertin zu bedenken. Abgesehen davon, dass jede Operation mit Risiken verbunden ist, beherbergen die Schamlippen viele Nerven: „Empfindliches Gewebe, das unter anderem für sexuelle Erregung sorgt, wird durchtrennt ...“

Behandlungsansätze: „Zu begreifen und zu akzeptieren, dass jede Vulva einzigartig ist, ist eine viel bessere Option als eine Operation.“ Ein kleiner Abstecher auf die Vulva Gallery der niederländischen Künstlerin Hilde Atalanta sei an dieser Stelle wärmstens empfohlen!

 

 

>> Hören Sie unseren Podcast zum Thema Harninkontinenz (auf Französisch) mit PD Dr. Med. Arrigo Fruscalzo und Physiotherapeutin Valérie Ducry rein.

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