Lebensqualität bis zuletzt
«In einem angenehmen Umfeld die verbleibende Lebenszeit würdigen»: so der Leitspruch der Villa St. François, die auf dem baumgesäumten Hügel oberhalb von Villars-sur-Glâne das Palliativzentrum des freiburger spitals (HFR) beherbergt. Ein Rundgang mit Sylvie Francisco, Leiterin Pflege, und Dr. med. Boris Cantin, Leitender Arzt des Zentrums.
Seit 2014 ist die Palliative Care in der Villa St. François zu Hause. Nach dem Umbau im vergangenen Jahr wurde der Standort zum Palliativzentrum des HFR. Wer die Villa besucht, kommt nicht umhin zu denken, dass sie für manche die letzte Station ihres Lebens ist. Die in den 1960er–Jahren entstandene Palliative Care wird heute in Ergänzung zur kurativen Medizin praktiziert. Die beiden Verantwortlichen des Zentrums, Sylvie Francisco, Leiterin Pflege, und Dr. med. Boris Cantin, Leitender Arzt, stellen sich täglich verschiedenen Fragen und Vorurteilen dazu, was Palliative Care ist: «Im Vergleich zu anderen medizinischen Fachgebieten ist die Palliative Care eine junge Disziplin», holt Dr. med. Cantin aus. «Wir müssen uns unseren Platz erkämpfen, doch allmählich nimmt man uns ernst. Je früher wir uns im Krankheitsverlauf eines Patienten einbringen können, desto besser. So können wir uns vom Stigma befreien, nur Sterbebegleitung zu machen.»
Ein Ort des Lebens
Der Umzug von Châtel-St-Denis nach Villars-sur-Glâne verhalf der Abteilung 2014 zur erhofften Anerkennung: «Dank der Nähe zum HFR Freiburg – Kantonsspital arbeiten wir heute enger mit den behandelnden Ärzten und Spezialisten zusammen. »
Auf Besucher wirkt die Villa St. François einladend, umgeben von einem Park mit imposanten, jahrhundertealten Bäumen, einem Bücherschrank und ... einem Hühnerstall. Nichts wirkt hier klinisch. Das viele Holz und das üppige Grün verleihen dem Ort Intimität und Wärme. «Wir sind kein Sterbeheim», stellt Dr. med. Cantin klar. «Wir erbringen dieselben Pflegeleistungen wie ein Spital. Und wir wollen, dass dieser Ort voller Leben ist, auch wenn die Krankheit allgegenwärtig ist.»
Das Wohl der Patienten steht zwar im Mittelpunkt, doch auch ihre Angehörigen werden in den Pflegeprozess einbezogen: «Wir legen Wert auf die Lebensqualität der Patienten und ihrer Familie, im weitesten Sinne des Wortes. Auch Freunde und gar Haustiere sind bei uns willkommen.» Den Angehörigen steht eine Infrastruktur zur Verfügung, die der eines Hotels in nichts nachsteht und einen Aufenthaltsraum, eine Weinbar, Spiel- und Lesezimmer sowie Übernachtungsmöglichkeiten umfasst.
Mit dem Coronavirus wurde der Einbezug der Angehörigen komplizierter: «Wir mussten einschränkende Massnahmen treffen», bedauert Dr. med. Cantin. «Menschlich war dies für uns ganz schwierig, da es unseren Grundsätzen und Wertvorstellungen zuwiderläuft».
Tagesbetreuung entlastet Angehörige
Mit der Renovation der Villa St. Francois wurde die Palliative Care des HFR, die im Frühjahr 2021 ihr 20-jahriges Bestehen feierte, an einem Ort zusammengeführt. Heute sind die Abteilung Palliative Care, die Tagesbetreuung und das Hospiz unter einem Dach vereint: «Dies ermöglicht uns eine lückenlose Betreuung», so Dr. med. Cantin.
Die Tagesbetreuung, die 2015 eröffnet wurde, findet zunehmend Anklang. An zwei Nachmittagen pro Woche bieten freiwillige Helfer sowie Fachkräfte mit Unterstützung durch die Stiftung Serenitas verschiedene Aktivitäten an: Kochen, Lesezirkel, Yoga, Hypnose, Massage, Kunsttherapie usw. «Diese Aktivitäten bieten Raum für Gespräche und gemeinsame Erlebnisse », freut sich Sylvie Francisco.
Wenn der Patient dies wünscht und sein Gesundheitszustand stabil ist, kann er auch nach Hause zurückkehren. Knapp die Hälfte aller Patienten nutzt diese Möglichkeit. «Die Person ist nicht geheilt, kann aber für eine kurze Zeit in ihre vertraute Umgebung zurückkehren. Auch die Tagesbetreuung steht ihr offen.» Diese Option verhilft auch den Angehörigen, die oftmals über lange Zeit Betreuungsaufgaben übernehmen, zu einer Verschnaufpause.
Mit der Einrichtung des neuen Kompetenzzentrums in der Villa St. François konnten zehn neue Betten eröffnet werden. Derzeit verfügt das Zentrum über 22 Betten, alle in Einzelzimmern. Ausserdem beschäftigt die neue Struktur rund sechzig Mitarbeitende – darunter etwa dreissig Pflegende –, die meisten davon zweisprachig.
«Unser oberstes Ziel ist, den Fortbestand dieser neuen Struktur langfristig zu sichern, unter anderem in Zusammenarbeit mit dem mobilen Palliativpflegeteam Voltigo und den anderen Gesundheitseinrichtungen des Kantons», so Dr. med. Cantin. «Ausserdem haben wir in diesem Jahr ein mobiles Beratungsteam geschaffen, das den übrigen HFRAbteilungen für Fragen zu Palliativthemen zur Verfügung steht.»
Getreu seinem Leitsatz möchte das Palliativzentrum der verbleibenden Lebenszeit möglichst viel Lebensqualität verleihen. Dabei befürwortet es weder Übertherapie noch aktive Sterbehilfe. Seit mehreren Jahren verzeichnet die ambulante Tätigkeit eine steigende Nachfrage – ein Trend, der anhalten dürfte. Für die Zukunft einigen sich die Zentrumsleiter auf einen gemeinsamen Wunsch: Sie möchten bei der Erkennung von Patienten, die allenfalls eine palliativmedizinische Versorgung benötigen, früher einbezogen werden. «Wir wünschen uns, dass jede Freiburgerin und jeder Freiburger Zugang zu Palliative Care hat.»