«Fremde Menschen rangen um mein Leben!»

Nach einem Schlaganfall wird Frédéric Sapin im April 2025 in die Stroke Unit des HFR eingeliefert und kommt in die fachkundige Obhut von Sabina Sada, einer auf Neurologie spezialisierten Fachexpertin Pflege. Ein Wiedersehen.
Das erste von Frédéric Sapin wahrgenommene Symptom mag fachsprachlich weniger einschlägig sein, dafür umso bildhafter: «Plötzlich machte sich mein linkes Auge vom Acker!» Es ist der 24. April 2025. Der 58-Jährige unterhält sich gerade mit einem Arbeitskollegen der Stadtwerke Lausanne, als er einen Schlaganfall erleidet. Damit ist er eine von rund 20 000 Personen, die in der Schweiz jährlich von einem Schlaganfall betroffen sind.
Frédéric Sapin kommt zunächst ins Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV). Dann wird er in die Stroke Unit des HFR verlegt, wo er auf Sabina Sada trifft, eine auf Neurologie spezialisierte Fachexpertin Pflege. Zwei Monate später kommt es im 8. Stockwerk des HFR zu einem Wiedersehen. Eine gute Gelegenheit für den ehemaligen Patienten, seine Dankbarkeit auszudrücken für dieses «Wunder», wie er es selber nennt.
Sabina, wie ist es für Sie, Frédéric wiederzusehen, ihn laufen und sprechen zu sehen? Macht Sie Ihr Beruf in solchen Momenten glücklich?
Sabina Sada: Und wie! Vor allem auch, da wir selten Rückmeldungen erhalten. Es kommt nicht oft vor, dass wir Patientinnen und Patienten wiedersehen. Ich erinnere mich gut an Herrn Sapin, aber ich kann mich nicht an die Einzelheiten seines Schlaganfalls erinnern. Da müsste ich erneut sein Dossier studieren. Wissen Sie, die Stroke Unit am HFR behandelt jährlich 400 Fälle. Etwas ist mir aber geblieben: Es ging um einen Schoggihasen, der auf seinem Bett geschmolzen war ...
Frédéric Sapin: Stimmt, meine Cousine besuchte mich, ich schlief, da hat sie den Hasen auf meine Bettdecke gelegt. Ich hatte schon immer einen tiefen Schlaf, doch seit dem Schlaganfall hat sich das noch verstärkt. Mein Zimmer im HFR lag direkt neben dem Helilandeplatz ...
Sabina Sada: Genau, Zimmer 47.
Frédéric Sapin: Das Zimmer ist nur 20 Meter vom Helilandeplatz entfernt. Mitten in der Nacht landete ein Heli – was für ein Rotorenlärm, und erst die Scheinwerfer! Mein 82-jähriger Zimmernachbar stand mit seiner Gehhilfe auf, um sich das anzusehen. Und sah mich im Bett liegen. Völlig reglos. Da rief er den Arzt. Der bestätigte, dass alles in Ordnung war mit meinem Puls und meiner Atmung. Ich hatte schon immer einen tiefen Schlaf, ein Zug hätte in mein Zimmer rauschen können, ich hätte ihn nicht gehört. Doch seit meinem Schlaganfall habe ich mit einer hartnäckigen Müdigkeit zu kämpfen. Ich bin ständig müde. Neulich besuchte ich einen Freund in Zürich. Als ich aus dem Zug stieg, fühlte ich mich, als hätte ich die Strecke zu Fuss zurückgelegt. Ich lese zwei Seiten in einem Buch – San-Antonio wohlgemerkt, nicht Descartes! – und schlafe ein. Ich spiele kurz mit der PlayStation, schon ist mir schwindelig.
Sabina Sada: Müdigkeit tritt zwar nicht nach allen Schlaganfällen auf, ist aber sehr häufig. Ein Teil des Gehirns wurde für eine gewisse Zeit nicht mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, das Gehirn muss sich erholen. Die körperlichen Folgen eines Schlaganfalls sind sichtbar, psychische und emotionale Auswirkungen aber sind weniger offensichtlich. Daran erinnern wir unsere Patientinnen und Patienten sowie ihr Umfeld immer wieder.
Was geschieht in der Stroke Unit nach der Einlieferung eines Patienten wie Frédéric?
Sabina Sada: Die Patientin oder der Patient wird mit der Ambulanz in die Notaufnahme eingeliefert. Besteht der Verdacht auf einen Schlaganfall, wird alarmiert und der Stroke-Behandlungspfad ausgelöst. Zunächst müssen wir verstehen, was passiert ist. Das beginnt bereits bei der Einlieferung. Bei Verdacht auf einen Schlaganfall muss die Diagnose anhand der Symptome bestätigt werden, etwa durch bildgebende Untersuchungen oder Bluttests. Dabei muss die Ursache, z. B. Bluthochdruck, eine Herzerkrankung oder ein Tumor, ermittelt werden.
Auf das CT folgt schnellstmöglich eine Thrombolyse: Über die Vene wird ein Medikament injiziert, um das Gerinnsel aufzulösen und die Blutzirkulation wiederherzustellen. In der Akutphase wird die Person auf der Intensivstation via Monitor überwacht.
Frédéric Sapin: All das durchlief ich am CHUV, wo ich bereits 30 Minuten nach meinem Schlaganfall eintraf. Ich blieb zwei Tage in der Notaufnahme, bevor ich ans HFR verlegt wurde. In diesen zwei Tagen wurden viele Tests durchgeführt. Das Personal kam alle zwei Stunden, um mir Fragen zu stellen. Man zeigte mir einen blauen Stift von Caran d’Ache. Ich konnte die Seriennummer lesen, den Gegenstand aber nicht benennen. Mir war nach «Kommen Sie morgen wieder, heute ist zu!» Doch sie kamen wieder und wieder, das hat mich sehr ermüdet. Ich hätte am liebsten gerufen: «Ich bin am Boden, kommen Sie morgen um 8 Uhr wieder, dann sehen wir weiter!» Mein Hirn funktionierte und ich verstand, was mit mir geschah, aber ich konnte nicht kommunizieren.
Sind diese Fragen Teil eines Protokolls?
Sabina Sada: Ja, wir verwenden zur Beurteilung eines Schlaganfalls den sogenannten NIHSS-Score. Dabei werden 15 Kriterien bewertet, darunter Motorik, Sensibilität, Sprache, Orientierung, Mobilisierung und Sehvermögen. Anhand des ermittelten Scores können wir die Auswirkungen des Schlaganfalls einschätzen und sehen, ob die Person stabil ist oder sich ihr Zustand verbessert oder verschlechtert.
Frédéric Sapin: Ich hatte immenses Glück: Nach einer Nacht war wieder alles da! Ich erinnere mich an den nächsten Morgen, es muss fünf oder sechs Uhr gewesen sein. Die Pflegefachfrau fragte mich: «Wie geht es Ihnen, Herr Sapin?» Und ich sagte: «Sehr gut, und Ihnen?» Und da hörte ich mich selber sprechen. Wow!
Frédéric, was nehmen Sie mit von Ihrem Aufenthalt in der Stroke Unit des HFR?
Frédéric Sapin: Etwas hat mich schwer beeindruckt: Ich persönlich würde für meinen Sohn oder meine Tochter kämpfen. Aber hier, und auch am CHUV, traf ich Menschen, die mich nicht kannten, mich noch nie gesehen hatten und trotzdem für mich kämpften – und das tage- und nächtelang. Einfach unglaublich!
Sabina Sada: Nicht alle Fälle gehen so gut aus wie der Ihre, Frédéric. Es gibt sehr schwierige Situationen, in denen Menschen ihr Leben nach einem Schlaganfall komplett überdenken müssen. Aber das gehört zum Beruf, den wir gewählt haben.
Frédéric Sapin: Und ich danke Ihnen, dass Sie ihn gewählt haben.
Mehr zu Frédéric Sapins Erfahrungen und Wissenswertes von Dr. med. Friedrich Medlin, Co-Leiter der Stroke Unit am HFR, in unserem Podcast (auf Französisch).
#21 — Stroke Unit par Rendez-vous santé de l'HFR — Treffpunkt Gesundheit am HFR