Nicht einfach kleine Erwachsene: Kinder in der Medizin

Die Pädiatrie betreut junge Patientinnen und Patienten ab der Geburt bis ins Jugendalter und berücksichtigt dabei sowohl medizinische als auch psychologische, familiäre und soziale Aspekte. Aber worin unterscheidet sich die Behandlung von Kindern von derjenigen der Erwachsenen?
Ab der Geburt bis zum Alter von etwa 16 oder 18 Jahren verändert sich der menschliche Körper ständig. Und das ist einer der Hauptgründe, weshalb sich die medizinische Betreuung von Kindern von derjenigen von Erwachsenen unterscheidet. Die Pädiatrie ist ein medizinisches Teilfachgebiet, das sich mit der Entwicklung und den Erkrankungen von Kindern von der Geburt bis zum Jugendalter befasst.
Fachärztinnen und -ärzte für Pädiatrie, also Kinderärztinnen und -ärzte, haben die Aufgabe, jedem Kind eine optimale psychomotorische und körperliche Entwicklung zu ermöglichen. Dazu benötigen sie ein umfassendes Wissen über Kinderkrankheiten, denn die gesundheitlichen Leiden, die Kinder betreffen können, sind vielfältig und variieren je nach Alter.
Ausserdem müssen sie angeborene Erkrankungen (genetische Anomalien oder Fehlbildungen) erkennen können, die sich bereits vor der Geburt oder aber im Laufe der Kindheit oder sogar erst im Erwachsenenalter manifestieren können.
Kinderärztinnen und -ärzte kümmern sich jedoch nicht nur um kranke Kinder. Sie verfolgen das Wachstum und die psychomotorische Entwicklung und achten auf mögliche Anzeichen eines gesundheitlichen Leidens. Dabei gilt: Was für das eine Kind ungewöhnlich ist, kann für ein anderes ganz normal sein. Auch im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung spielen Kinderärztinnen und -ärzte eine wichtige Rolle.
Zunehmende Selbstständigkeit
«Die Selbstständigkeit gehört zu den wichtigsten Unterschieden zwischen den jungen und den erwachsenen Patientinnen und Patienten. Zunächst fehlt sie gänzlich: Babys sind vollkommen abhängig von ihren Eltern. Dann nimmt sie bis zum Jugendalter immer mehr zu», erklärt Dr. med. Cosette Pharisa Rochat, stv. Chefärztin des Kindernotfalls des HFR. «Wir müssen daher die Urteilsfähigkeit, die Unabhängigkeit bei der Entscheidungsfindung und das Recht auf Vertraulichkeit je nach Situation und Alter der Patientinnen und Patienten bedenken.»
Obwohl die Eltern oder Erziehungsberechtigten während des gesamten Behandlungsverlaufs einbezogen werden, berücksichtigt die Kinderärztin oder der Kinderarzt, dass das Kind mit zunehmendem Alter bestimmte Dinge selbst entscheiden kann. Die Einbeziehung der jungen Patientinnen und Patienten in die Entscheidungen, die ihre Gesundheit betreffen, wirkt sich positiv auf ihre Selbstständigkeit und ihr Verantwortungsbewusstsein aus und schafft eine vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Ärzteteam, dem Kind und den Eltern. Je älter ein Kind ist, desto besser kann es nach seiner Meinung gefragt werden.
Auch beim verwendeten Material und den verabreichten Medikamenten unterscheidet sich die Betreuung von Kindern von derjenigen der Erwachsenen. In der Pädiatrie muss das Material an das Gewicht und die Grösse der kleinen Patientinnen und Patienten angepasst werden, von der Sauerstoffmaske über Infusionskatheter bis hin zu den Gelenkschienen. Die Dosierung der Medikamente muss ebenfalls sorgfältig auf jedes Kind abgestimmt werden. Für die Kleinsten müssen die Arzneimittel in Form von Sirup oder Zäpfchen verfügbar sein. Dies kann zu Problemen führen, wenn das Medikament nicht mehr vorrätig ist, da es im Allgemeinen weniger Alternativen gibt als bei Medikamenten in Tablettenform.
Pädiater vs. Allgemeinmediziner
«Kinderärzte und der Allgemeinmediziner haben natürlich viele Gemeinsamkeiten. Bei beiden steht die ganzheitliche Betrachtung ihrer Patientinnen und Patienten in all ihren biopsychosozialen Dimensionen im Mittelpunkt. Bei der pädiatrischen Betreuung ist der familiäre Hintergrund jedoch von besonders grosser Bedeutung, da die Eltern bei der Behandlung ihres Kindes eine wesentliche Rolle spielen», betont Dr. med. Cosette Pharisa Rochat.
«Die Arbeit als Kinderärztin erfordert neben akademischen Kompetenzen auch Anpassungsfähigkeit, Kommunikationsgeschick und ein bisschen Kreativität, um schnell ein Vertrauensverhältnis zu den jungen Patientinnen und Patienten aufzubauen. Bei kleinen Kindern reicht die Sprache nämlich nicht aus. Dann muss man ein Spiel oder eine Ablenkung finden, z. B. einen Gegenstand oder eine Aktivität, die das Kind noch nicht kennt.» (siehe Seiten 22/23).
Der wachsende Organismus, die zunehmende Selbstständigkeit, therapeutische Bedürfnisse, die Bindung zu den Eltern: Kinder sind einzigartige Wesen und nicht einfach kleine Erwachsene!
Es wird empfohlen, erst nach dem Ende der Adoleszenz von der Kinderärztin oder vom Kinderarzt zu einer Allgemeinmedizinerin oder einem Allgemeinmediziner zu wechseln. Da Kinderärzte auf die Entwicklung des Kindes und die Diagnose von Kinderkrankheiten spezialisiert sind, sind sie besser in der Lage, eine mögliche Wachstumsverzögerung, eine Sprachstörung oder eine andere Krankheit im Zusammenhang mit der Kindheit und/oder Jugend zu erkennen. Ist das Kind gesund und benötigt keine besondere medizinische Betreuung, erfolgt der Übergang zum Hausarzt auf Wunsch der Patientin oder des Patienten oder der Familie nahtlos durch die Übermittlung des Patientendossiers.
Wenn das Kind an einer chronischen oder wiederkehrenden Erkrankung, einer Behinderung oder psychosozialen Problemen leidet, die das Eingreifen verschiedener Spezialistinnen und Spezialisten erfordert, ist die Situation komplexer. Es wechselt nicht nur die Ärztin oder den Arzt, sondern wird auch an andere Spezialistinnen und Spezialisten für Erwachsenenmedizin überwiesen. Für die junge Patientin oder den jungen Patient bedeutet dies viele Veränderungen und neue Gesichter. Um einen reibungslosen und effizienten Übergang zu gewährleisten, wird häufig ein Übergangsplan empfohlen, der am Ende der pädiatrischen Betreuung die Kontaktaufnahme mit dem Hausarzt und zukünftigen Fachärzten beinhaltet.